Einleitung Öffnung der Kinder- u. Jugendhilfe

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„Stereotypisierung reduziert Leute

auf einige, wenige, unentbehrliche Eigenschaften,

die als von Natur aus gegeben vorgezeigt werden.“

(Hall, 1997:257, eigene Ü.)

Mithilfe einer diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung kann daran gearbeitet werden, dass Zugehörigkeiten, Herkunftsbezüge, Lebensweisen, Hintergründe oder Identitäten in der KJH angemessen Berücksichtigung finden, ohne die Einzelnen dabei auf stereotype Klischees festzulegen.

Damit diskriminierende Barrieren, Auschlüsse und Zuschreibungen erkannt und abgebaut werden können. Damit Nutzer*innen ihre Rechte gleichberechtigt und in vollem Umfang wahrnehmen können.

Viele Jugendämter und Jugendhilfeträger sind dabei, sich für eine Kritik der Diskriminierung zu öffnen und den Anforderungen einer Reflexion der Praxis unter Diversity-Gesichtspunkten zu stellen. Hier gilt es, Türen zu öffnen, um den eigenen Jugendhilfealltag kritisch in Frage zu stellen und einen veränderten Blick auf die eigenen Arbeits- und Organisationskulturen zu richten.

In den öffentlich geförderten Projekten des Bildungsteams wurden seit 2015 bisher sieben Jugendämter darin begleitet, sich für eine Kritik der Diskriminierung zu öffnen und die eigene Organisation differenz- und diskriminierungssensibel weiter zu entwickeln. Mehrere Jugendämter und freie Träger der Jugendhilfe in Berlin und Brandenburg haben zudem an verschiedenen Fortbildungsangeboten teilgenommen und die eigenen professionellen Handlungsweisen und -routinen reflektiert und verändert.

Barrieren abbauen: Zugang zur Kinder- und Jugendhilfe für alle freimachen

Ausgangspunkt der diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung kann die Einsicht sein: Nicht alle Familien können ihre Rechte auf Unterstützung und Hilfe, die im KJHG garantiert werden, gleichberechtigt wahrnehmen. Viele Adressat*innengruppen werden von den Hilfe- und Unterstützungsangeboten der Kinder- und Jugendhilfe nicht, nicht in ausreichendem Maße oder nicht in angemessener Weise erreicht. Damit die Kinder- und Jugendhilfe für alle da ist, gilt es, einen gleichberechtigten Zugang für alle sicher zu stellen.

Kenntnisse über institutionelle Diskriminierungskulturen als Ausgangspunkt

Um den vielfältigen Lebenslagen, Bedarfen und existenziellen Bedingungen ihrer Nutzer*innen besser entsprechen zu können, ist eine diversitätsbewusste Organisation der Kinder- und Jugendhilfe Voraussetzung. Dafür sind Kenntnisse über strukturelle und institutionelle Diskriminierung in und durch Praktiken und Strukturen der eigenen Organisation zentral. Im Prozess der Organisationsentwicklung werden ausgehend von einer Kritik an Diskriminierung und Ungleichbehandlung systematisch an strukturellen Veränderungen gearbeitet und diskriminierungssensible Organisationskulturen konzipiert und erprobt.

Reflexion der Praxis & Organisation

Sowohl in der Fortbildung als auch in den Prozessen der Organisationsentwicklung geht es darum, sich den Anforderungen einer Reflexion der Praxis unter Diversity-Gesichtspunkten zu stellen. Hier gilt es, Türen zu öffnen, um den eigenen Jugendhilfealltag kritisch in Frage zu stellen. Gemeinsam mit den Prozessbegleiter*innen des Bildungsteams kann daran gearbeitet werden, dass Zugehörigkeit, Herkunft, Lebensweise, Hintergrund oder Identität auf eine reflexive Art Berücksichtigung findet, so, dass Klischees und Stereotype aufgebrochen werden, zugleich Ungleichheits- und Ungerechtigkeitserfahrungen der Nutzer*innen ernst genommen werden.

Diskriminierung im Kinder- und Jugendhilfealltag systematisch abbauen

Zugangsbeschränkungen können in der KJH vielfältig und versteckt in ganz ’normalen‘ Situationen, Ansprachen, Darstellungen und Prozedere enthalten sein, ohne dass sich alle Beteiligten dessen bewusst sind oder dies beabsichtigt war. Deshalb gilt es, sie gemeinsam aufzudecken, in Bewegung zu versetzen und zu überschreiten: Dabei kommen Diskriminierungserfahrungen von Nutzer*innen wie Verantwortlichen in der Jugendhilfe in den Blick, zu der Alltagsrassismus, Geschlechterdiskriminierung, Behinderungsverhältnisse, Benachteiligung aufgrund von sexueller Identität, religiöser Zugehörigkeit, nationaler, ethnischer, sprachlicher oder kultureller Herkunft, wegen der Lebensweise, der Armutssituation, der Familienkonstellation oder aufgrund von Citizenship gehören.

Diskriminierungen können in jeder Form der Hilfeerbringung vorkommen und das Mandat der Kinder- und Jugendhilfe grundlegend betreffen und herausfordern. Um sicht- und unsichtbare Barrieren zu erkennen und zu reflektieren, wird im Rahmen der Organsiationsentwicklung das Alltagshandeln in der Jugendhilfe systematisch hinterfragt. Dafür werden Zuschreibungsroutinen, Ausgrenzungverhältnisse und Dynamiken der Schlechterstellung, die sich entlang von verschiedenen gesellschaftlichen Diskriminierungsverhältnissen ereignen, gemeinsam untersucht, reflektiert und die professionelle Praxis und Organisation wird diskriminierungskritisch verändert. Die gesamte alltagskulturelle und institutionelle Organisation der Kinder- und Jugendhilfe wird so sensibilisiert und weiterentwickelt, um Diskriminierung Schritt für Schritt abzubauen.

Informieren Sie sich hier, welche Anliegen mit einer diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung verbunden sind und welche Elemente und Schritte sie beinhalten kann.

Gemeinsam für eine bessere Kinder- und Jugendhilfe für alle.

Quellen- und Literaturhinweise

  • Eingangaszitat zu Stereotypisierungen: Stuart Hall (1997): The spectacle of the other. In: S. Hall (ed.). Representation: cultural representations and signifying practices. London: Sage, 223–290. Originalzitat: ‘Stereotyping reduces people to a few, simple, essential characteristics, which are represented as fixed by Nature’ (Hall, 1997:257); eigene Übersetzung/ A.J. Vorrink
  • Zur diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung und kulturellen Öffnung von Organisationen und Institutionen vgl.:
    • Zu Prozessen der Diversitätsorientierten Organisationsentwicklung und zu den praktischen Erfahrungen von vier Jugendämtern damit vgl. in unserem Dossier mit Projektmaterialien: Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V. (Hg.) Salka Wetzig (Autorin) (2020): Erfahrungen diversitätsorientierter Interkultureller Öffnung in vier Jugendämtern. Wege zur diskriminierungssensiblen Organisation. Berlin, S. 34f., 40f., 43f. 48f. hier auf diversity-jugendhilfe.de Open Acess
    • Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V. (Hg.) Elisa Schmidt, Salka Wetzig, Iven Saadi (Autori*innen) (2018): Empfehlungen und Methoden zur Diversitätsorientierten Organisationsentwicklung: Diversitätsorientierte Interkulturelle Öffnung in Jugendämtern. Handlungsimpulse für die Organisationsentwickelung. In unserem Dossier mit Projektmaterialien verfügbar hier auf diversity-jugendhilfe.de Open Acess
    • Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW) (Hg.): Kinder- und Jugendarbeit zu rassismuskritischen Orten entwickeln. Düsseldorf, S. 65-71. Open Acess
    • Toan Quoc Nguyen (2019) „Kein Spaziergang, sondern ein Dauerlauf!“ Anforderungen an rassismuskritische und diversitäts- orientierte Organisationsentwicklung. In: Sebastian Seng, Nora Warrach (Hg.), Rassismuskritische Öffnung Herausforderungen und Chancen für die rassismuskritische Öffnung der Jugend(verbands)arbeit und Organisationsentwicklung in der Migrationsgesellschaft, Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e. V. (IDA), Düsseldorf, S. 55-59. Open Acess
    • Alkis, Soniya/Nzume, Lena (i.E. ): Das Integrationsimperativ der ko-operativen kommunalen Bildungslandschaft. Eine (rassismus)kritische Reflexion. In: Jahrbuch Organisationspädagogik.
  • Für eine Diskriminierungskritische Soziale Arbeit vgl.:
    • Nivedita Prasad, Katrin Muckenfuss, Andreas Foitzik (Hrsg.)(2019): Recht vor Gnade. Bedeutung von Menschenrechtsentscheidungen für eine diskriminierungskritische (Soziale) Arbeit. Beltz Juventa: Weinheim und Basel.
    • Can, Halil (2019): Habe Mut zu handeln und dich (kritisch) deiner Macht zu bedienen! Veränderung durch (Selbst-)Hilfe, Partizipation und Empowersharing, Berlin: Qualitätswerkstatt Modellprojekte GesBiT — Gesellschaft für Bildung und Teilhabe. Open Acess
    • Julian Ernst & Josephine Schmitt (2019): Diskriminierungserfahrungen Jugendlicher. Begleitmaterial zu „Say My Name“, Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Open Acess 
    • Melter, Claus (2006): Rassismuserfahrungen in der Jugendhilfe. Eine empirische Studie zu Kommunikationspraxen in der Sozialen Arbeit, Münster: Waxmann.
    • Birgit Jagusch & Yasmine Chehata (Hg.)(2020): Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Positionierungen – Arenen. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
    • Rosenstreich, Gabriele (2006): Von Zugehörigkeiten, Zwischenräumen und Macht: Empowerment und Powersharing in interkulturellen und Diversity Workshops, in: Elverich, Gabi/Kalpaka, Annita/Reindlmeier, Karin (Hg.): Spurensicherung. Reflexion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, Frankfurt am Main, S. 195-235.
    • Maureen Maisha Auma (2020): Für eine intersektionale Antidiskriminierungspolitik. In: Bundszentrale für politische Bildung (Hg.) Aus Politik und Zeitgeschichte. Open Acess
    • Zum reflexiv-kritischen Diversity-Ansatz vgl. Paul Mecheril und Andrea J. Vorrink (2012): Diversity und Soziale Arbeit. Umriss eines kritisch-reflexiven Ansatzes. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit. Themenheft: Diversity Management und Soziale Arbeit. S. 92-101.

(Hinweis: Diese Literaturliste wird fortlaufend ausgebaut und ergänzt: Vorschläge nehmen wir sehr gerne entgegen: > Kontakt)

 

diversity-jugendhilfe.de ist Bestandteil des Modellprojektes „Diversitätsorientierte Interkulturelle Öffnung der Jugendhilfe – Diskriminierungsschutz stärken und Vernetzung fördern“ in Berlin und Brandenburg (Oktober 2020 – September 2022) des Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V.