Fokus Sprache

Ein diversitätsbewusster Umgang mit Sprache ist möglich, indem gewalttätige und diskriminierende Wörter, Bilder, Ansprachen und Darstellungsweisen, die verletzen können, als solche erkannt und hinterfragt werden können. Um Diskrimierungsschutz in der KJH systematisch  auszubauen, ist es grundlegend, dass diskriminierungsbewährte Worte aus dem eigenen und dem institutionellen Sprachgebrauch gestrichen und durch andere Formulierungen, Darstellungen und Ansprachen ersetzt werden können.

Sprache bestimmt unser Dasein und unseren Alltag in vielen Facetten. Diskriminierungsschutz zeigt sich in einem umsichtigen Umgang mit Sprache(n) und an einem Interesse daran, dass Sprache sowohl als Instrument und Anlass der Benachteiligung, der Degradierung und des Ausschlusses, als auch als Mittel der Gleichberechtigung, Befreiung und Emanzipation benutzt werden kann.

Diskriminierende Sprache zu (er)kennen, gedanklich durchzustreichen und aus dem üblichen Gebrauch nach und nach zu verdrängen ist ein wichtiger Aspekt der diversitätsorientierten Öffnung mithilfe eines kritisch-reflexiven Ansatzes. Die Auseinandersetzung mit dem diskriminierenden Potenzial von und mit Sprache ist für eine reflexive und professionelle Arbeit wichtig. Dabei geht es darum, dass die Frage nach verletzendem, diskriminierendem Sprachgebrauch in oder durch Organisation auf unterschiedliche pädagogische, soziale, kulturelle oder verwalterische wie administrativ-rechtliche Situationen, Sachverhalte, Strukturen, Routinen und Kontexte im Alltag der Kinder- und Jugendhilfe bezogen werden kann.

Gemeinsam eine schützende Sprache etablieren

Unsere Sprache(n) sind ein wichtiges Mittel, um Gewalt und Diskriminierung zu benennen und zu thematisieren. Dabei zeigt sich, dass für Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen häufig erst eine eigene, neue Sprache gefunden werden muss. Dies bringt die Notwendigkeit mit sich, neue Worte einzuführen, kennen zu lernen und einzusetzen, die als Vehikel dafür funktionieren. Ein bekanntes historisches Beispiel dafür ist der Ausdruck „sexuelle Belästigung“. Erst auf Basis des Ausdrucks war es in der Vergangenheit möglich, sexualisierte Gewalterfahrungen zur Sprache zu bringen, zu reflektieren und Mechanismen zum Schutz vor Verletzung rechtlich, sozial, pädagogisch und kulturell zu etablieren. Sprache ist deshalb umfassend an die Möglichkeiten eines gleichberechtigten und menschenwürdigen Daseins gebunden, sodass die Kinder- und Jugendhilfe in all ihren Aufgabenbereichen und Handlungsfeldern gefragt ist, Strategien zur Benutzung einer schützenden Sprache zu kultivieren und weiter zu entwickeln.

Professionalisierung mit, durch, über Sprache(n)

Mitarbeiter*innen am Arbeitsplatz oder Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe systematisch Schutz vor den unterschiedlichen Formen von Gewalt und Diskriminierung zu garantieren, ist erst vor dem Hintergrund möglich, dass eine Sprache vorhanden ist, mit der Gewalt und Diskriminierung professionell thematisiert und bearbeitet werden kann. Ein Interesse an und eine Neugier gegenüber auch mehrheitsgesellschaftlich bisher weniger bekannten Begriffen und Konzepten, die versuchen, eine schützende Sprache zu etablieren, ist deshalb von zentraler Bedeutung für unsere Arbeit. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Konzept der Dekolonialiserung von Sprache. Dies ist darauf ausgerichtet, zu reflektieren, ‚wie Rassismus aus Wörtern spricht’*, um rassistisch-koloniale Sprache aus dem Gebrauch zu streichen und durch eine neue Wortwahl und Darstellungsroutine zu ersetzten.

Vielsprachigkeit anerkennen, darstellen und fördern

Diskriminierungsschutz bezogen auf Sprache zeigt sich auch darin, sprachliche Vielfalt anzuerkennen, sprachliche Minderheiten oder diskreditierte Sprechkulturen zu schützen und Mehrsprachigkeit in seiner ganzen Breite wertzuschätzen und zu repräsentieren. Gerade im Kontext von Integrationsanforderungen zeigt sich häufig ein  abwertender Umgang mit Mehrsprachigkeit und Pluralität. Hier kann Sprache und auf Sprache bezogene Zuschreibungen verdeckt oder offensichtlich als Marker für Ausgrenzung und Ausschluss dienen. Dieser Zusammenhang wird als sprachbezogene Diskriminierung und Linguizismus* bezeichnet.

Diversität & Inklusion durch Sprache und Sprachdarstellung

Insbesondere beim Zugang zu Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe spielt Sprache in der multi- und transligualen Migrationsgesellschaft eine entscheidende Rolle. Sprache, Linguizismus und Diskriminierung lässt sich in Bezug auf verschiedene Zugehörigkeiten denken: So sind  Menschen, die Gebärdensprache oder computergestützte Kommunikationweisen nutzen häufig Diskriminierung ausgesetzt. Dieser Zusammenhang wird als Audismus* bezeichnet. Im Kontext von Armut und Klassismus ist Sprache häufig zugleich Mittel und Anlass für Beschämung*. Dies sind nur einige wenige Beispiele, um zu sagen: Sprache und Diskriminierung ist ein wichtiges und facettenreiches Gebiet für formelle und informelle Diversitätsgestaltung und Diskriminierungsschutz, das es intersektional und inklusiv zu bearbeiten gilt. Für einen gleichberechtigten Zugang aller ist deshalb für die KJH von besonderer Bedeutung, dass die von den Nutzer*innen und ‚Noch-Nicht-Nutzer*innen‘, aber Anspruchsberechtigten gesprochenen Sprachen und genutzten Kommunikationsformen präsent sind, dabei anerkannt und zugleich nicht gegen ihre Sprecher*innen oder Nutzer*innen in Stellung gebracht werden. Deshalb ist es wichtig, inklusive Sprachangebote für unterschiedliche Zielgruppen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, die sprachlich und in jeder anderen Hinsicht ohne Zwangscharakter auskommen, und so von den Adressat*innen tatsächlich als einladendes und auf mehr Selbstbestimmung setzendes Angebot wahrgenommen werden können.

(*Quellen- und Literaturhinweise vgl. u. )

Werden Sie aktiv, und sprechen Sie mit uns über die Macht der Sprache in der Kinder- und Jugendhilfe.

Diskriminierungen durch Sprachhandlungen können in jeder Form der Hilfeerbringung vorkommen, finden sich u.a. auch in formellen und verwalterischen Bezeichnungen wieder oder werden befördert durch unsensible Begriffe, die ursprünglich aus Gesetzestexten stammen, die eigentlich die Rechte der Nutzer*innen der KJH formulieren wollen. Dass Mandat der Kinder- und Jugendhilfe erfordert hier von uns allen, mit Sprache unter diesen schwierigen Umständen einen eigenständigen, kreativen und professionellen Umgang gemeinsam zu finden, um sicht- und unsichtbare Barrieren, die durch Sprache aufrecht erhalten werden, zu verändern.

Machen Sie mit und werden Sie Teil einer Community von Kolleg*innen, die sich dafür engagieren, dass die Sprache(n) der Kinder- und Jugendhilfe, ihren Nutzer*innen wie ihren Fachkräften zugute kommt.

Gemeinsam für eine bessere Kinder- und Jugendhilfe für alle.

Medientips

Erfahren sie hier, wie Ableismuskritik durch Sprache gelingt:  „Achtung, diskriminierende Sprache! ‚Rede weise‘ von Aktion Mensch

Eine Version des Videos mit Audiodeskription findet ihr hier
Das Video mit einer Übersetzung in deutscher Gebärdensprache gibt es hier

  • Dekolonialisierung von Sprache

    Über die Gewalt der Sprache im Kontext von Rassismus und Kolonialität informiert dieser Beitrag beim Deutschlandfunk
    Susan Arndt im Gespräch mit Änne Seidel

Sprache & Sein

Kübra Gümüşay, 2014 Botschafterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Themenjahr gegen Rassismus, erläutert in diesem Clip die Bedeutung von Sprache für die Benennung von Gewalt- und Diskriminiungserfahrungen. Sie stellt ihr neues Buch vor, in dem aufgezeigt wird,  wie Sprache Stereotype für gesellschaftliche Gruppen zugleich bildet und abbildet und auch dazu genutzt werden kann, diese in Frage zu stellen und Diskriminierung zu bennen.

Quellen- und Literaturhinweise

  • Kübra Gümüşay (2020): „Sprache und Sein“, Hanser: Berlin.
  • Zu Linguizismus vgl: Dirim, İnci (2016): »Ich wollte nie, dass die anderen merken, dass wir zu Hause Arabisch sprechen«. Perspektiven einer linguizismuskritischen pädagogischen Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern. In: Hummrich, Merle/Pfaff, Nicole/Dirim, İnci/Freitag, Christine (Hg.): Kulturen der Bildung. Kritische Perspek-tiven auf erziehungswissenschaftliche Verhältnisbestimmungen. Wiesbaden: VS, 191–207.
  • „Wie Rassismus aus Wörtern spricht – (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk“ ist der Titel eines rassmimus- und antisemitismus-kritischen Nachschlagewerkes, hg. von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard im Unrast-Verlag (2011).
  • Zur Veränderung der KJH  von, mit, durch Sprache und zu Gewalt, Sprechen & Schweigen in Kontexten der KJH:
    • Sharon Dodua Otoo (2013): Wer hat die Definitionsmacht? Durch die Wahl unserer Worte verändern wir die Realität. (Memento vom 30. Mai 2019 im Internet Archive) In: Critical Whiteness. Debatte um antirassistische Politik und nicht diskriminierende Sprache. Sonderbeilage Analyse & Kritik, Herbst 2013 (S. 24–25)  Open Acess
    • Philipp Sandermann (2015): Momente des Nicht-Sprechens/-Schreibens als schweigende Ermöglichung und Verweigerung von Kinder- und Jugendhilfeleistungen in Antrags- und Hilfeplanverfahren. In: Geiss, M. & Magyar-Haas, V. (Hg.) Zum Schweigen: Macht Ohnmacht in Erziehung und Bildung. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 307-332.
    • Simon, Stephanie & Kerle, Anja & Prigge, Jessica. (2021). „In ner Kita gibt’s erstmal keinen Stempel“. Sprechen über (Kinder-)Armut und strukturellen Benachteiligungen als Herausforderung im Umgang mit Heterogenität. Open Acess
    •  Anja Kerle (2022): Un_ausgesprochene Scham?! Überlegungen zu Thematisierungsweisen von Armut & Klasse. In: Institut für Theorie und Empirie des Sozialen (ITES) – Werkstatt für sozialpädagogisches Denken. Open Acess 
    • Alisha M. B. Heinemann/Natascha Khakpour (Hg.)(2019),: Pädagogik sprechen. Die sprachliche Reproduktion gewaltvoller Ordnungen in der Migrationsgesellschaft, J.B. Metzler: Berlin.
  • Zu Ableismus und Sprache mit Schwerpunkt Audismus  und Pädagogik vgl.:  Bauman, Dirksen. (2004). Audism: Exploring the Metaphysics of Oppression. Journal of deaf studies and deaf education (9), S.  239-46. Open Aces

diversity-jugendhilfe.de ist Bestandteil des Modellprojektes „Diversitätsorientierte Interkulturelle Öffnung der Jugendhilfe – Diskriminierungsschutz stärken und Vernetzung fördern“ in Berlin und Brandenburg (Oktober 2020 – September 2022) des Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V.