Anspruch Diskriminierung (an-)erkennen

„Anti-Schwarzer Rassismus ist Kindeswohlgefährdung“ lesen sie hier über die rassismuskritischen Konzepte der BAG Schwarze Perspektiven auf soziale Professionen, die Shaheen Wacker und Jeff Hollweg auf unserem 4. Netzwerktreffen vorgestellt haben.

 „Kindeswohl neu denken!
Verwirklichung der UN-Kinderrechtskonvention in der Antidiskriminierungs-
beratung mit jungen Kindern“
4-teiligen Audioreihe der MonitoringStelle UNKinderrechts- konvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte
finden Sie hier hier
Das Begleitmaterial gibt es hier

„Toleranz sollte nur ein vorübergehender Zustand sein,

er muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“–

Goethe, zitiert nach Jugendliche Ohne Grenzen (JOG)

Mit Diversität wird die Anerkennung aller Menschen als gleichberechtigte und gleichwertige Mitglieder der demokratischen und pluralen Gesellschaft gefordert.

Damit ist die professionelle Wahrnehmung von Unterschieden und Ungleichheiten verbunden, beispielsweise in der je individuellen Lebenspraxis, hinsichtlich der Pluralität von Lebenswelten und angesichts verschiedener, ungleicher, ungleichberechtigter Existenzbedingungen.

Weil es gesellschaftliche Ungleichheiten, Machtverhältnisse und strukturelle Diskriminierung von Menschen gibt, ist die Anerkennung dieser Realität zentral, um überhaupt diskriminierungssensibel und diversitätsbewusst handeln zu können. Die grundlegende Anerkennung der Diskriminierungstatsache in Gesellschaft und Kinder- und Jugendhilfe ist deshalb Ausgangspunkt für eine reflexive Professionalisierung der Praxis.

Anerkennung der Diskriminierungstatsache als Ausgangspunkt

Diskriminierung  aufgrund von Zugehörigkeit, Identität, Herkunft oder Zuschreibung

entlang von rassistischen Unterscheidungen wie bspw. Haut- oder Haarfarbeneinteilungen, aufgrund von tatsächlicher oder angenommener Herkunft oder Zugehörigkeit, aufgrund von Antisemitismus, bezogen auf Sprache und Multi-Lingualität, anhand von tatsächlichen oder zugeschriebenen Gender-Identitäten, der sexueller Orientierung, dem Lebensalter, der religiösen Zugehörigkeit, bezogen auf Behinderung und Ableismus, Familienkonstellationen, Citizenship oder Armut

gehört zur Alltagserfahrung der Nutzer*innen von Kinder- und Jugendhilfe.

Erst ein ausdifferenziertes und umfassendes fachliches Wissen um diese Lebensrealität von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ermöglicht es Fachkräften, Kinder- und Jugendhilfeangebote anders zu konzipieren, zu organisieren, umzusetzen und zu reflektieren. Deshalb gilt es, eine professionelle Haltung und Handlungsfähigkeit bezogen auf Diversity & Diskriminierung in der Gesellschaft allgemein, und speziell im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe, weiter zu entwickeln.

Mut zur Veränderung der eigenen Praxis

& der KJH-Organisationen

Um dem Mandat der Kinder- und Jugendhilfe entsprechen zu können, benötigen Fach- und Führungskräfte reflexive Bildungsräume der professionellen Auseinandersetzung und Weiterqualifizierung. Diskriminierungen können in jeder Form und auf allen Ebenen der Hilfeerbringung vorkommen, und damit das Mandat der Kinder- und Jugendhilfe und das Selbstverständnis aller Beteiligten grundlegend betreffen und herausfordern.

Für eine diskriminierungssensible Alltagskultur in der Kinder- und Jugendhilfe braucht es couragierte Kolleg*innen, die bereit sind, alltägliche Strukturen, Sichtweisen und Handlungsroutinen unter Diversity-Gesichtspunkten zu reflektieren und  ihren eigenen Arbeitskontext diskriminierungskritisch zu verändern. Dabei gilt es, das, was bislang als ‚normal‘ und ‚selbstverständlich‘ gilt, kritisch zu hinterfragen und gesellschaftliche, individuelle und institutionelle Begrenzungen zu verschieben und zu öffnen. Dies heißt, das Alltagshandeln in der Kinder- und Jugendhilfe grundlegend in Frage zu stellen.

Das Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V. unterstützt Fachkräfte und Teams aus gemeinnützigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dabei, ihre professionelle Reflexions- und Handlungsfähigkeit mithilfe einer kritisch-reflexiven Diversity-Perspektive  zu revidieren und weiter zu entwickeln.

Diskriminierung – eine Arbeitsdefition

„Alltagssprachlich wird unter dem Begriff Diskriminierung ein abwertendes Verhalten/Sprechen oder eine Handlung, die auf negativen Emotionen und Stereotypen basiert, verstanden. Aus soziologischer Perspektive hingegen handelt es sich bei Diskriminierung nicht um eine isolierte individuelle Handlung, sondern um ein komplexes Zusammenspiel aus sozialen Verhältnissen und Beziehungen, die in ihrer Konsequenz negative Folgen für soziale Gruppen haben. Hierbei muss neben der Einbettung von Diskriminierung in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ebenso die Manifestation der direkten und indirekten Diskriminierungen im historischen und gegenwärtigen Kontext Beachtung finden, da die institutionelle und strukturelle Wirkmächtigkeit von unterschiedlichen Diskriminierungskategorien nur so in ihren Strukturen und Prozessen analysiert werden kann. (vgl. Scherr 2017, S. 40f.)

Die diskriminierenden Kategorisierungen zielen in ihrer Unterscheidung einerseits auf bestimmte Gruppenkategorien (z. B. „Jüd*innen“, „Muslim*innen“) ab. Abstrakte Gruppen (Simmel 1908, S.355), die so nicht real existieren und deren Mitglieder sich untereinander nicht kennen, aber aufgrund von gesellschaftlich wirkungsmächtigen Gruppenkonstruktionen bestehen, wird ein oder mehrere identitätsprägende/s Unterscheidungsmerkmal/e zugeschrieben, um dadurch eine scharfe Trennlinie zur Dominanzgesellschaft zu ziehen. Andererseits können Personenkategorien (z. B. „Frauen“, „Kriminelle“) ebenso wirkmächtige Unterdrückungsmechanismen auslösen (vgl. Scherr 2016). Das Ziel dieser Kategorien liegt in der Genese und begründeten Verwirklichung von Abgrenzungen und hierarchischen Strukturen, die in Form von Machtasymmetrien sichtbar werden, und sich direkt auf die Lebenschancen und Lebensbedingungen der Diskriminierten auswirken (vgl. Scherr 2017, S. 42).

Durch die Differenzkonstruktion in Personen- oder Gruppenkategorien werden Personen nicht mehr als selbstbestimmungsfähige Individuen betrachtet, sondern nur noch als Teil dieser Gruppe wahrgenommen und somit als inkompatibel und „anders“ verglichen mit der unterstellten Norm, der Mehrheitsbevölkerung angesehen. Durch die Konstruktion einer Eigengruppe unter der gleichzeitigen negativen Abgrenzung und Konstruktion einer in sich homogenen Gruppe beispielsweise in den Kategorien Nationen, Geschlechter, Religionen usw. entstehen scheinbar unterschiedliche Kollektive mit zugeschriebenen gemeinsamen Werten, Normen und Erfahrungen. (vgl. Scherr 2017, S. 43f.) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Diskriminierungen immer nur in einzelnen Kategorien auftreten. Im Rahmen rassistischer Diskriminierung kann es ebenso zu sexistischen Diskriminierungsformen kommen und umgekehrt. Oftmals greifen multiple Diskriminierungsformen ineinander (Intersektionalität) (…)“

(Quelle: Bildungsbausteine gegen antimuslimischen Rassismus/ Bildungsteam*)

Mitmachen:

Kommen Sie zu den Fortbildungsangeboten beim Bildungsteam und bei anderen Bildungsträgern, um sich mit Diskriminierung im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe zu beschäftigen.

Welche Formen von Diskriminierung gibt es?

Erfahren Sie in dieser Sammlung von Wort- und Erklärlisten, welche Formen von Diskriminierung und welche Definitionen und Begriffe es gibt, um sie zu thematisieren und zu beseitigen. Hier werden sie kurz und verständlich mit verschiedenen Akzentsetzungen erläutert:

Was ist intersektionale Diskriminierung?

Erfahren Sie hier, woher der Intersektionalitätsansatz kommt und wie 'Mehrfach-Diskriminierung' im Menschenrechtsschutz verstanden wird.

 

Quellen- und Literaturhinweise

vgl. Jugendliche Ohne Grenzen (JOG)– „fighting for Bleibrecht since 2005“, vgl. http://jogspace.net/about/

Aktuelle Information, Berichte und Studien über Diskriminierung finden Sie bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: www.antidiskriminierungsstelle.de

Die Arbeitsdefinition zu Diskriminierung: Stefan Bommer, Annette Kübler, Žaklina Mamutovič, Nastaran Tajeri-Foumani, Dorothea Schütze, Mihri Özdoğan, Andreas Hastreiter im Bildungsteam-Projekt Bildungsbausteine gegen antimuslimischen Rassismus (20015 – 2019). Open Acess

vgl. außerdem:

  • Gomolla, M. (2011): Interventionen gegen Rassismus und institutionelle Diskriminierung als Aufgabe pädagogischer Organisationen. In: Scharathow, W./Leiprecht, R.(Hrsg.): Rassismuskritik, Band 2. Rassismuskritische Bildungsarbeit. Schwalbach, S. 41–60
  • Hormel, U./Scherr, A. (2010): Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen. In: Dies. (Hrsg.): Diskriminierung. Grundlagen und Forschungsergebnisse. Wiesbaden, S. 7–20

Vgl. zu diskriminierenden Alltagserfahrungen in der KJH oder im Kontext der KJH:

  • Melter, Claus (2006): Rassismuserfahrungen in der Jugendhilfe. Eine empirische Studie zu Kommunikationspraxen in der Sozialen Arbeit, Münster: Waxmann.
  • Julian Ernst & Josephine Schmitt (2019): Diskriminierungserfahrungen Jugendlicher. Begleitmaterial zu „Say My Name“, Bundeszentrale für politische Bildung. Open Acess
  • Maisha Eggers (2005): Rassifizierung und kindliches Machtempfinden. Wie schwarze und weiße Kinder rassifizierte Machtdifferenz verhandeln auf der Ebene von Identität. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Open Acess
  • Vgl. Sven Jenessen / Nicole Kastirke / Jochem Kotthaus (2013): Diskriminierung im vor schulischen und schulischen Bereich. Eine sozial und erziehungswissenschaftliche Bestandsaufnahme. Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin.
  • Tanja Abou (2014): Von der Unmöglichkeit ein diskriminierungsfreies Kinderbuch zu schreiben …und dem Versuch es trotzdem zu tun. In: Heimatkunde. Open Acess 
  • Tú Qùynh-nhu Nguyễn, Sarah Schnitzler/ AG Mädchen* in der Jugendhilfe & Tritta* – Verein für feministische Mädchen_arbeit e.V.(Hg.)(2021): klassismuskritische Mädchenarbeit. Open Acess
  • Dossier Diversität und Kindheit. Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion unter: https://heimatkunde.boell.de/de/dossier-diversitaet-und-kindheit-fruehkindliche-bildung-vielfalt-und-inklusion
  • Nivedita Prasad, Katrin Muckenfuss, Andreas Foitzik (Hrsg.)(2019).: Recht vor Gnade. Bedeutung von Menschenrechtsentscheidungen für eine diskriminierungskritische (Soziale) Arbeit. Beltz Juventa: Weinheim und Basel.
  • Mangold, K., Rein, A. Kinder- und Jugendhilfe und LGBTIQ*. Sozial Extra 45, 80–84 (2021). Open Acess
  • Kiana Ghaffarizad (2017): Läuft noch nicht? Gönn dir: 7 Punkte für eine Jugendarbeit gegen Antisemitismus! »ju:an«-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit/ Amadeu Antonio Stiftung (Hg.). Berlin. Open Acess
  • Solga, H./Wagner, S. (2010): Die Zurückgelassenen – die soziale Verarmung der Lernumwelt von Hauptschülerinnen und Hauptschülern. In: Becker, R./Lauterbach, W. (Hrsg.): Bildung als Privileg. Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit. Wiesbaden, S. 191–220 (4. Auflage)
  • Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW e.V. (Hg.): Erfahrungen mit Rassismus im pädagogischen Alltag. Eine Einführung zum Thema Rassismus für Fachkräfte in Jugendhilfe und Schule (THEMA JUGEND KOMPAKT 3). Münster 2017 (2. Auflage)( Autor: Andreas Foitzik). Open Acess

(Hinweis: Diese Literaturliste wird fortlaufend ausgebaut und ergänzt: Vorschläge mit engem Bezug auf KJH nehmen wir sehr gerne entgegen: > Kontakt)

diversity-jugendhilfe.de ist Bestandteil des Modellprojektes „Diversitätsorientierte Interkulturelle Öffnung der Jugendhilfe – Diskriminierungsschutz stärken und Vernetzung fördern“ in Berlin und Brandenburg (Oktober 2020 – September 2022) des Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V.